Die letzten Meter

von Sarah Kofler 5F

Die letzten Meter wollte er mit Würde beschreiten, er wollte nicht flehen, nichts bereuen, nicht ängstlich sein.

Nein, er wollte stark und ohne Reue sein.

Er wusste warum er sich in dieser Situation befand, doch er war nicht schuldig, nicht auf die gleiche Art und Weise wie es die anderen hier in diesem Gebäude waren.

Er hatte gehandelt, aus Liebe, aus Verzweiflung, aus Überzeugung, nicht wie es jämmerliche Vollidioten tun würden, die ihre Zeit damit verbrachten unschuldige Menschenleben zu zerstören und sie anschließend auszulöschen.

Langsam ging er mit bedächtigen Schritten weiter.

Eins… zwei… er hatte einen schier endlos langen Weg vor sich. Die Menschen wollten, dass dieser Weg möglichst lange sei, sie wollten den Moment genießen, das Wissen genießen, dass bald alles vorbei sein würde.

Einige Gesichter strahlten, andere schauten trostlos vor sich hin, nur seine Familie, im Abseits stehend, weinte.

Er hätte nicht so viel essen sollen, denn sein Magen schmerzte, doch beim Anblick der saftigen Fleischklösschen und die große Portion Püree, welche von gedünsteten Karotten umrahmt gewesen war, hatte er nicht widerstehen können.

Seine letzte Mahlzeit, die Henkersmahlzeit, sollte ihm die Erinnerung an seine Familie und an sein Zuhause wiedergeben, welches er schon lange nicht mehr gesehen hatte. Er wusste nicht wie viele Tage seit der letzten Verhandlung vergangen waren, er konnte sich jedoch noch genau an den Gesichtsausdruck seiner Mutter erinnern, als die harten und schmerzhaften Worte des Urteils verkündet worden waren. Ein Wort, ein kleiner Haufen Buchstaben, eine Anordnung von Vokalen und Konsonanten, doch richtig verwendet konnten sie über Leben und Tod bestimmen. „Todesstrafe“.

Plötzlich spürte er wieder diesen Hass in sich, der wie ein schwarzer Wolf im Dunkeln lauert um sich dann mit Brutalität auf das kleine neugeborene Lämmchen zu stürzen, welches seine Hoffnung darstellte.

Er war sich keiner Schuld bewusst, es hatte einfach gut getan das warme Blut zu spüren, wie es in einem kleinen Rinnsal über seine Arme gelaufen war.

Jämmerlich geschrien hatte sie, als hätte ihn das abgehalten, er hat nicht aufgehört, sie sollte ihre Lektion lernen. Keiner tötet seine geliebte Frau und sein ungeborenes Kind ohne dies zu bereuen. Er hatte geweint, wochenlang, doch das schlimmste war, dass der Gerichtsmediziner bei der Obduktion der Leiche und deren Baby herausgefunden hatte, dass sie noch eine Stunde weitergelebt hatten, bevor sie an den inneren Verletzungen gestorben waren.

 „Nach dem Fluchtauto wird im ganzen Land gefahndet“, sagte der Polizist, „wir werden den Schuldigen finden.“

So lange wollt er nicht warten, er wollte Vergeltung und das sofort. Es war nicht schwer gewesen sie zu finden, er hatte einfach ein paar Nachforschungen angestellt.

Lautes Schluchzen, riss ihn aus seinen Gedanken, es war seine Schwester, die von ein paar Wächtern aus dem Raum gebracht wurde, weil sie nicht tatenlos zusehen konnte wie ihr Bruder getötet wurde.

Es war nur mehr ein Meter, drei kleine Schritte, eins…zwei…drei…

Ein Wächter, so groß wie ein Bär öffnete eine kleine Tür die ihn in einen kleinen beleuchteten Raum brachte. Langsam und bedächtig legte er sich auf die Liege und begutachtete seine Umgebung. Die weißen Fliesen strahlten eine solche Kälte aus, dass er Gänsehaut bekam. Ein Schauer lief seinen Rücken entlang. Ein Mann mit weißem Kittel betrat den Raum, allem Anschein nach einem Arzt, denn er trug ein Stethoskop um seinen Nacken. Langsam schritt er näher und schnallte den Mann fest an die Liege. Seine Augen waren dabei ausdruckslos, als würde er dies jeden Tag tun. Mit der linken Hand holte er einen kleinen gelben Gummischlauch aus der Tasche und band mit großer Sorgfalt die Venen ab. Er durfte sich keine Fehler erlauben, denn dass würde rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen, abgesehen von den großen Schmerzen für den Verurteilten. Die bläulich, grüne Vene schimmerte unter der Haut hervor und zeichnete sich deutlich ab, mit einer Kanüle durchbohrte er zuerst die Haut, dann den Muskel, bis er schließlich an die Vene gelangt. Er befestigte Schläuche, verband sie mit den Behältern in denen das Gift auf seinem Gebrauch wartete und gab dem Henker das Zeichen, dass alles ordnungsgemäß abgelaufen war. Er hatte schweißnasse Hände, doch Angst, nein die hatte er nicht, denn er wusste, dass jenseits dieses Lebens ein besseres Leben auf ihn wartete, ein Leben mit seiner Frau und seinem Kind. Wenn sie tot war, warum sollte nicht auch seine Seele von der Last des Körpers befreit werden?

Er sah ein letztes Mal auf, er zwinkerte seiner Mutter zu, ein Zeichen dafür, dass sie sich keine Sorgen machen sollte, denn es würde ihm bald besser gehen.

Ganz langsam drückte der Arzt den Auslöser, er spürte wie das Gift durch seine Venen in den Körper gepumpt wurde, sein Körper krampfte, bäumte sich auf, sein Mund war mit Schaum bedeckt, er musste sich übergeben. Eine gefühlte Ewigkeit später wurde ihm schwarz vor den Augen, er spürte keine Angst mehr, er fiel einfach in ein großes schwarzes Loch, an dessen Ende seine wunderschöne Frau mit einem kleinen Jungen auf dem Arm wartete…

Einen Monat später erfuhr die Staatsanwaltschaft, dass die DNA der ermordeten Frau nicht mit jener übereinstimmte, die zur Frau gehörte die wegen Fahrerflucht festgenommen wurde.

Die wirkliche Schuldige wurde mit gestohlenem Auto festgenommen und verurteilt. Drei Jahre Freiheitsstrafe sollte sie absitzen, auf Grund der großen Schuldgefühle, nahm sie sich jedoch zwei Wochen später mit einer Rasierklinge das Leben.

ENDE

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